Wenn man stundenlang über einem Riff schnorchelt und dabei kreuz und quer einmal hier und einmal dorthin schwimmt, dann scheint so ein Riff ein riesiger und für einen kleinen Fisch quasi unendlicher Lebensraum zu sein.
Doch das selbe Riff sieht aus der Sicht eines Doktorfischs, eines Falterfischs, eines Drückers, eines Kaiser- oder Zwergkaiserfischs, eines Lippfisches, eines Riff- Zwerg- Fahnen- Zacken- oder Kardinalbarschs, einer Grundel oder eines Schleimfisches ganz anders aus:
Viele dieser Tiere besetzen Reviere und verteidigen diese Reviere vehement gegen Tiere der gleichen Art und des selben Geschlechts oder gegen alle Artgenossen. Einige Fische verteidigen ihr Revier sogar gegen andere Fischarten, die entweder eine ähnlich Ernährung haben oder sonst irgendwie die notwendige Revierausstattung bedrohen (vegetarisch lebende Riffbarsche/Doktorfische, Anemonenfische/Anemonenfresser). Dies ist nebem dem Fraßfeinddruck einer der Gründe, warum viele Fische ihr eigenes Revier im Riff wohl kaum verlassen können - Der Versuch einmal dem Schnorchler hinterher - quer durchs Riff zu schwimmen - dürfte für viele der erwähnten Fische - mit dem Versuch des Schnorchlers sich in einer texanischen Kleinstadt einmal über alle Privatgrundstücke zu schleichen, vergleichbar sein.
=> Viele Fische dürften in ihrem natürlichen Lebensraum zwar einen großartigen Blick auf ein Korallenriff haben - aber der Raum ist für sie genauso wenig nutzbar, wie das Wohnzimmer das sie hinter der Aquarienscheibe sehen.
Gerade weil das Riff in so viele gut verteidigte Reviere aufgeteilt ist, haben übrigens einige Fischarten eine spezielle Strategie entwickelt, die es ihnen ermöglichet, sich im Riff zumindest zeitweise etwas freier zu bewegen, und auch gut verteidigte Nahrungsresourcen zu nutzen:
So schließen sich zum Beispiel Doktorfische zeitweise zu grossen Nahrungsschwärmen zusammen, um so in die Reviere von Riffbarschen oder anderen Doktorfischen einzufallen, und an die dort wachsenden Algen zu gelangen.
Einige Doktorfische haben eine Jugendfärbung, die mit der Färbung von Zwergkaiserfischen fast identisch ist. Mit Hilfe dieser "Tarnung" gelingt es ihnen, in die Reviere von Riffbarschen einzudringen, die ihre Algenbestände gegen einen Doktorfisch ansonsten vehement verteidigen würden.
Kaiserfische haben häufig eine Jugendfärbung, die es ihnen ermöglicht sich "unerkannt" und unbekämpft in einem Riff aufzuhalten, das vollständig in Kaiserfisch-Reviere aufgeteilt ist - doch sobald sich die Fische umfärben, ist es mit der Freizügigkeit vorbei.
Das gerade Doktorfische, Zwergkaiser, Schleimfische und Riff- und Zwergbarsche, ihre Reviere sehr effektiv gegen Eindringlinge verteidigen, dürfte eigentlich auch schon jedem Aquarianer aufgefallen sein, der versucht hat, in ein mit diesen Fischen besetztes Aquarium, einen Fisch nachzusetzen, der den bereits vorhandenen Bewohnern auch nur annähernd ähnlich sieht.
Fraßdruck durch Raubfeinde dürfte in unseren Aquarien (zumindest für die Fische) seltener eine Rolle spielen - doch in der Natur kann der Wechsel eines Fahnenbarschweibchens in den Harem des Nachbarn - und das damit verbundene Geplänkel - schon ein Risikofaktor sein. - Zumal beim plötzlichen Auftauchen eines Feindes, die Versteckplätze im neuen Revier auch noch nicht bekannt sein dürften.
Das manche Fische sehr spezielle Umweltansprüche haben und ihre Lebensräume im Riff daher sehr fleckenhaft verteilt sind, sei nur am Rande erwähnt - manche Grundeln, Skorpionsfische, Seepferdchen und Seenadeln verbringen ihr Leben weitgehend in einer einzigen Koralle. Auch für diese Tiere ist ihr Lebensraum natürlich nicht unendlich, sondern bestenfalls mit einer schönen Aussicht versehen.
LG Martin