Es geht auch anders. 4,5 Jahre 300l Ökosystem-Beckenentwicklung ohne Abschäumer, Filter, Osmoseanlage, ICP usw.

  • Hey ihr Lieben,


    ich war damals auf der Suche nach einem einfachen und möglichst eingriffsfreien Weg (Ökosystem Gedanke) ein Meerwasseraquarium zu betreiben.
    Durch die extrem einfachen aber wunderschönenen Aquarien von Harold Weiß inspiriert, ist das hier mein Weg geworden.


    Es ist sicherlich nur ein Weg von vielen, daher ist das hier für Menschen, die wie ich auf der Suche nach alternativen Wegen sind und soll zum nachdenken anregen. Jeder darf gerne so weitermachen, wie er mag!!!


    Erstmal ein Bild der Entwicklung über die letzten 4,5 Jahre. Das letzte unten ist von heute Abend und ohne vorher schick machen aufgenommen. Insgesamt ist es kein durchgestyltes High End Aquarium, sondern eher ein natürlicher Lebensraum in dem viel lebt und gedeiht.




    Wie man sieht ist es nicht immer nur bergauf gegangen. :winking_face: Aber grundsätzlich erkennt man im Grunde bis auf 2-3 Korallen noch alle Korallen vom Anfang wieder.


    Das Becken sollte eigentlich nur Weichkorallen bekommen, aber hat jetzt viele SPS und LPS. Wobei keine sehr anspruchsvollen SPS dabei sind.


    Hier mal einige Regeln die ich gebrochen habe:


    1. Kein Abschäumer, keine Filter.
    Meine Theorie ist, dass mit der Eiweißabschäumung und Filtrierung auch viele gute Nährstoffe, Spurenelemente und Feinstpartikel aussortiert werden und man dann hinterher wieder anfangen muss nachzudosieren.
    Daher habe ich ein 50l Algenrefugium mit Drahtalgen mit einem 8cm "DeepSandBed" (DSB) und einer Umwälzung von ca. 2000-3000l pro Stunde. Keine Filtermatten, keine Aktivkohle oder irgendwas. Interessant war, dass weder Nesselgifte noch Gelbstoffe im Wasser sich angereichert haben. Das Wasser ist sehr klar, aber allerdings immer mit ganz, ganz feinen Partikeln in der Wassersäule. Die sieht man aber kaum, stören sowieso nicht.
    Die Sauerstoffversorgung ist durch eine 24h (wichtig) Beleuchtung des Algenrefugiums sichergestellt. Alle 2 Wochen werden Drahtalgen entnommen und alle 2 Jahre eine Hälfte des DSB mit frischem Sand 2-4mm Körnung erneuert. Nitrat ist fast nicht nachweisbar. Phosphat ist so bei 0,05. War aber auch mal höher, da hab ich noch nicht 24h beleuchtet und die Pumpe war verdreckt.
    Insgesamt habe ich aber nur 6 Fische, Knallkrebs und viele niedere Tiere.


    2. Keine Osmoseanlage, sondern Regenwasser.

    Mein Wasserwechselwasser (knapp 10% alle 1-2 Wochen) und Nachfüllwasser kommt aus einer Regentonne die an meinen Fahrradschuppen mit lackiertem Blechdach angeschlossen ist. Das Dach wurde noch nie gereinigt, die Tonne ca. alle 1/4 Jahr der Boden abgesaugt mit einem Schlauch. Hier leben interessanterweise Regenwürmer :winking_face: und es sammelt sich etwas Dreck. Es waren schon Pollen drin, das Wasser hat auch einen ganz leichten Phosphat Wert (ist bei Regenwasser scheinbar öfter so) und öfters denke ich es wird im Aquarium dann erstmal richtig sauber gemacht. Aber es funktioniert einwandfrei.


    3. Keine Zugabe von Spurenelementen, Mittelchen, Adsorbern usw.

    Ich gebe wirklich nur Futter rein. Am Anfang als es noch sehr nährstoffarm war (Aufbau des Zooplanktons und Besiedlung der Flächen), habe ich noch Coral Sprint - Korallenfutter zugeführt. Das habe ich lange beibehalten. Man weiß ja nie... Aber das war nachher eher kontraproduktiv und ich lasse es schon länger weg ohne Probleme.
    Ich habe keine ICP gemacht und dosiere auch keine Spurenelemente und nehme das günstigste Salz von Dupla Marin (Basic Ocean). Immer wenn es Probleme gab, hab ich dann doch mal Spuris dosiert oder so. Das hat aber nie etwas gebracht. Sondern immer waren die Basics verantwortlich. Daher meine Meinung: Wer Phosphat, Nitrat, KH, CA und Dichte konstant im Griff hat, der kann den Rest vergessen. Einmal hatte ich einen falschen Phosphat Test, da habe ich kurzzeitig mit Phophat Adsorber gearbeitet als Notfalllösung.


    4. Sonstige No Go's und Auffälligkeiten
    Mein Aquarium ist komplett abgedeckt. Da bin ich aber längst nicht der Einzige. :smiling_face:
    In einer Box links in der die Mangroven stehen ist 30cm hoch 35cm tief und 10cm breit Sand aufgeschichtet zum Wurzeln. Keine Probleme mit Schimmel, toter Ecke, Phosphatdepot usw.
    Ich beleuchte mit China LED Kiste und zwei T8 Röhren und habe inzwischen schon hunderte Ableger verkauft, tlw. Fußballkopfgroße Korallenteile entsorgt :frowning_face: , weil es so krass wächst.
    Es gibt wahnsinnig viele Seescheiden, Schwämme, Kleinstfiltrierer (mini Röhrenwürmer) usw. Auch Plankton in Form von Copepoden u.Ä. ist immer viel da, auch im Hauptbecken.
    Es gibt keine Automatisierungen! Ich dosiere täglich KH (65ml aktuell) und alle drei Tage CA über selbstgemixtes Balling. Seit Anfang ohne NaCl freies Meersalz. Das hat sich sehr bewährt, da so nichts überlaufen kann usw. Weniger Technik, weniger Katastrophen. Man muss sich nur selbst im Griff haben ;-). Nachfüllwasser muss ich nur einmal die Woche nachkippen, wegen der Abdeckung.


    Schwächen des Ansatzes


    Insgesamt überzeugt mich das Konzept, aber es gibt natürlich auch Schwächen. Ich denke für richtig viele Fische bräuchte man ein größeres DSB und Algenbecken.
    Es ist im Verhältnis von Nitrat zu Phosphat immer etwas zu viel Phosphat da (Kein Nitrat messbar und Phosphat bei 0,05-0,1). Das liegt wohl an den vielen nitrifizierenden Flächen und ist schwierig ideal zu konzipieren. Ist aber auch nicht weiter tragisch. Ich hab durch einen ziemlichen Crash (Phosphat Test fehlerhaft) einige Korallen leiden lassen und auch durch mein zwischenzeitlich nur alle 3-4 Tage KH dosieren. Diese Korallen bekommen tlw. nicht wieder ihre ursprüngliche Färbung zurück. Das sieht man z.B. bei der Milka, die ist recht blass obwohl sie wieder gut wächst. Evtl. würde es mit einer besseren Spurenelement Überwachung hier besser aussehen. Weiß ich aber auch nicht.


    Fazit

    Mir gefällt es so gut, dass ich im Grunde nur Futter rein und Algen raus nehme. Das Kleinst-Leben im Becken ist wirklich enorm und das Korallenwachstum sehr stark, solange man die Basic Werte im Griff behält.

    Regenwasser würde ich immer wieder nehmen und spart so viel Geld und Nerven. Auch das Konzept möglichst wenig einzugreifen macht für mich Sinn. Das Ökosystem im Aquarium ist so komplex und wenn ich an der einen Stelle drehe, passiert an 5 anderen Stellen auch was. Daher je weniger icht tue, desto stabiler.
    Krass auch wie günstig mein Aquarium ist. Korallen kaufe ich schon ewig nicht mehr, sondern verkaufe regelmäßig über Community Corals (Mittelhessische Korallenschätze). Zusatzmittel, teure Ballinglösung mit Spuris, teure Salze, Harzfilter, Filtermaterialien usw. brauche ich alles nicht.


    Die Tiere gut beobachten, zuverlässig pflegen und versorgen sind und bleiben aber die Grundlage für uns Aquarianer. Wer da unaufgeregt und aufmerksam bleibt kommt mit vielen Wegen zum Ziel.

    Just my 5 Cents.

    PS: In meiner Beckenvorstellung gibt es noch viel mehr Bilder und Details...

  • Ich finde deinen Bericht klasse. Selbstredend hast du ein Filtersystem. DeepSandBed ist ein geniales System, funktioniert immer wieder perfekt und ist vielen nur zu kompliziert, zu teuer oder was weiß ich...........


    Bei deinem Becken wirst du auch keine "Filter" benötigen, da du im Vergleich zu anderen sehr wenig Fische (ich sage bewusst nicht "Tiere") hast.
    Dein naturnaher Ansatz regt zum Nachdenken an. Wie du bereits aber festgestellt hast, DSB und Fische ist so ein Ding. Je größer das DSB um so mehr "Fische" kannst du problemlos halten.

    Unbedingt weiter berichten.


    LG
    Daniel

  • Hey Daniel, danke für die Blumen.
    Ja das stimmt ein Filter ist das DSB mit Algenrefugium schon, aber eben keiner der die Wassersäule filtert. Was ich mich frage, ob Algenwachstum oder DSB mehr Phosphat aufnehmen... Weil Nitrat ist ja nie zu hoch und dann könnten mehr Fische rein. Wobei ich auch einfach kein Freund von Fischsuppen bin und es ist ja so viel Leben im Meerwasseraquarium!!!

    Von daher habe ich auch noch nie versucht mehr Fische zu besetzen. Wenn ich z.B. öfters (z.B. Halbjährlich) die Hälfte des Sandes im DSB austauschen würde, dann würde ich auch mehr Nährstoffe verarbeiten können. Der Aufbau der Mikroorganismen auf neuem Substrat ist glaube ich eines der effektivsten Dinge um Nährstoffe zu verarbeiten. Das ist auch meiner Meinung nach ein Geheimnis von DSB und "Miracle Mud" usw.
    Und auch ein Grund warum nach anfänglichen Erfolgen, die Leute dann doch wechseln oder Probleme bekommen. Aber da würden mich auch mal andere Erfahrungen interessieren.

  • Hallo Johns,


    schönes Becken! Ich plane aktuell was ähnliches, nur kleiner. Wo ist die Fächergorgonie hin?

    Du schreibst von einem Crash vor einiger Zeit und davon, dass aufgrund des hohen PO4 Werts einige Korallen Probleme hatten. Nun ist 0,2 PO4 nicht wenig, aber auch nicht besonders viel. Mein Becken lief über Monate mit 0,24 PO4 prima, die Farben waren satt, kein Tier hatte Probleme. Auf den aktuellen Bildern fällt mir auf, dass die Farben doch um einiges blasser sind im Vergleich zu früher. Kann natürlich täuschen. Haben die Probleme mit dem Einsatz der Adsorbers begonnen oder hattest du davor auch schon Probleme?

  • Hallo Chris,

    die Fächergorgonie hat es leider nicht gepackt. War aber auch die einzige Koralle, die ich nie zum wachsen gebracht habe.

    Tja das Problem mit dem Po4 lag wohl weniger in der Höhe als in der (zu schnellen) Veränderung.

    Hab auch alle möglichen Verdächtigungen gehabt. Aber schlussendlich lief alles wieder gut als die Basic Werte im Rahmen waren. Der kurzzeitige Einsatz des Adsorbers war nicht der Auslöser der Probleme, sondern nur eine Notfallmassnahme als ich gecheckt habe, dass der Test kaputt ist.


    Das mit den bleicheren Farben von manchen Korallen ist ganz spannend! Tatsächlich ist die rote Digitata total blass. Allerdings ein Fragment der selben Koralle hat wieder die ursprüngliche Farbe bekommen. Sie wächst 3cm neben der blassen unter den exakt gleichen Bedingungen. Das soll mal einer verstehen. Es scheint so als wären tlw. Schäden irreversibel. Auch meine Milka ist viel zu blass seit dem Crash. Die meisten haben sich aber hervorragend erholt und sind wieder ganz die Alten.
    Das Aquarium sieht aber aktuell auch nicht so gut aus, wie es könnte. Man müsste viele Korallen komplett wegmachen und neu aufbauen. Ab bestimmter Größe beschatten die sich selbst und darunter liegende Korallen einfach zu stark. Bin noch unentschieden ob ich das konsequent machen will, weil so wie jetzt ist es ja eigentlich auch im Riff und es sieht nicht so künstlich aus, eher gewachsen.
    Naja mal schauen. Vielleicht greife ich mal hart durch. ???

  • Hallo Johns,


    da sagst du was! Mich kostet es auch sehr große Überwindung, auszudünnen. Im Nachhinein hat es sich aber immer gelohnt, auch wenn es nach dem Jäten meist etwas bescheiden aussieht.


    So aus dem Bauch heraus würde ich auf Stickstoffmangel oder Jodmangel tippen. Da wirkt irgendwie vieles blass, farb- und kraftlos. Da du keine ICP machst, könnte man das höchstens mal ausprobieren. Aber wenn du schreibst, dass ein Fragment wieder dieselbe Farbe bekommen hat, ist das schon seltsam.


    Ich habe jetzt mehrere Becken gesehen, wo neben Korallen auch höhere Algen enthalten sind (grüne und rote). Das wirkt ziemlich schön und passt in so ein natürliches Aquarium. Ich finde auch die eine oder andere Gorgonie sehr schön und auch wenn die haltbaren oft weiß bis beige sind, sehen die echt interessant aus. Es gibt auch so "dickarmige", flauschige. Auch Pilzlederkorallen passen gut in so ein Becken. Ist natürlich alles Geschmacksache, aber ich finde bei so einem simplen Betrieb (kein high end Licht, einfaches Salz, keine Zugaben usw.) drängen sich solche Tiere geradezu auf.

    Wenn es mein Becken wäre und ich umbauen würde, würde ich eventuell die SPS zugunsten anderer Tiere etwas reduzieren. Auf der anderen Seite sieht es aktuell trotzdem schön und stimmig aus. Wenn die Farben etwas mehr zurückkommen würden, gäbe es da nichts zu mäkeln :smiling_face:

  • Das ist für mich ein Meerwasseraquarium - natürlich reine Geschmacksache.

    Der Wege gibt es viele. Schön, dass Du einen anderen hier vorgestellt hast.

  • Hallo Johns,


    dann sage ich mal danke für die Blumen! Ich freue mich überaus, dass ich Dir mit meinen Aquarien Inspiration sein durfte.


    Dein Aquarium gefällt mir wirklich sehr gut. Schön, dass Meeresaquaristik noch auf diese Weise betrieben wird.


    Lieben Gruß vom


    Harold

    Kleine, biologisch funktionierende Aquarien mit sehr reduzierter Technik
    Motto: "Lieber mehrere kleine Becken als ein großes".
    ... und nicht immer so viel rumfuddeln im Aquarium

  • Ja Harold, ich muss echt sagen, dass ich mich das ohne dich damals nie getraut hätte. Mein erstes Becken 50l Becken war nur mit Lampe und einer 300l Umwälzpumpe. Allerdings ohne Fische. Und alles gedieh so prächtig. Verrückt, wie einfach es sein kann. Aber du hast mir auch genau gesagt, was zu tun war.


    Möchte wirklich niemanden zu nahe treten und empfinde großen Respekt was Menschen so an Technik beherrschen (Vlieser, Ozon, UV, Dosierapparaturen, Osmoseanlagen, Aquariencomputer, Zugabe vers. Mittelchen uvm.), aber am meisten Respekt habe ich vor einfachen Lösungen. Hinter denen steckt meist viel Erfahrung/Beobachtungsgabe und ein tiefes Wissen über die Zusammenhänge. Das hab ich dir immer abgespürt.

    Ja Reinhard, ich werde eine ICP mal aus Interesse machen lassen! Hab ich mir schon vorgenommen.
    Werde euch berichten.


    Das mit der Färbung der Korallen werde ich beobachten, wobei es eigentlich nur die Milka und den einen Teil der roten Monti Digitata betrifft. Der Rest sieht nach meiner Einschätzung "normal" aus. Wachstum ist bei den "blassen" Korallen übrigens richtig üppig. Also so schlecht kanns denen nicht gehen.

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