Weihnachtsgeschichte

  • In einer kleinen Stadt lebte Schuster Martin. Er wohnte in einem Kellerzimmer, dessen einziges Fenster auf die Strasse schaute, deshalb konnte Martin nur die Beine der vorübergehenden Leute sehen. Aber an ihren Schuhen erkannte er die meisten, denn es gab kaum ein Paar Stiefel oder Schuhe in dieser Stadt, das er nicht schon geflickt hatte.
    Schuster Martin arbeitete, solange der Tag hell war. Abends braute er sich gern einen heissen Tee, holte die Bibel vom Regal, und setzte sich an den Tisch. Im Schein der Lampe las er viele Seiten, und es wurde ihm jeweils heiter ums Herz.
    Eines Abends schlug er wieder das grosse Buch auf. Er las darin die Geschichte eines reichen Mannes, der Jesus zu sich eingeladen hatte. Martin dachte lange nach. Wie würde er wohl Jesus empfangen, wenn er zu ihm käme? Was würde er sagen? Was würde er tun? Er drehte das Licht herunter, stützte den Kopf auf die Arme und sann lange nach. Dann ging er zu Bett.
    »Martin!« drang es plötzlich an sein Ohr. Er schrak auf. Aber da war niemand. Doch jetzt hörte er ganz deutlich: »Martin! Martin! Schau morgen gut auf die Strasse, denn ich werde zu dir kommen!« Martin richtete sich auf und rieb sich die Augen. Hatte er diese Worte wirklich gehört oder nur geträumt? Er schaute sich nochmals um. Aber niemand war bei ihm. Da legte er sich wieder hin und schlief ein. Am nächsten Morgen stand Martin vor Tagesanbruch auf. Er heizte den Ofen an und stellte einen Kessel mit Wasser auf. Dann band er sich die Schürze und schaute zum Fenster hinaus. Es war noch sehr früh und kein Mensch auf der Strasse.
    Als das Wasser kochte, machte er sich Tee und schnitt eine Scheibe Brot ab. Nachdenklich trank und ass er. Ob er gestern abend nur geträumt hatte?
    Später setzte er sich an die Arbeit. Gerade als er ein Stück Leder zurechtschnitt, hörte er Schritte. Martin schaute auf. Da sah er Stefan, den alten Strassenwischer, wie er mit den Füssen stampfte und in die kalten Hände blies. Martin öffnete rasch das Fenster und rief:
    »Komm herein, Stefan, und wärme dich ein bisschen bei mir!«
    Stefan trat ein und setzte sich an den warmen Ofen. »Kalt ist es, Martin, eiskalt!« seufzte er. Dann schlürfte er genüsslich den heissen Tee, den Martin vor ihn hingestellt hatte. Als es ihm warm geworden war, dankte er Martin und ging.
    Martin goss sich noch ein Glas Tee ein, trank es aus und setzte dann die Kohlsuppe auf. Als er das nächste Mal zum Fenster hinausschaute, stand eine junge Frau draussen mit einem kleinen Kind auf dem Arm. Die Frau versuchte, das Kind in ihr dünnes Kleid zu wickeln, und vor dem kalten Wind zu schützen.
    Martin stand auf, lief die Treppe hinauf und rief die Frau herein. Er gab ihr von der Suppe zu essen und brachte ihr seinen alten Mantel. Der war gross genug, um sie und das Kind warm zuhalten. Dann gab er ihr noch ein paar Groschen, damit sie Milch für ihr Kind kaufen konnte.
    Die Frau verbeugte sich dankbar vor Martin, wickelte sich und ihr Kind in den dicken, warmen Mantel und ging davon. Als die Frau gegangen war, ass Martin den Rest der Suppe auf und räumte das Geschirr fort. Wieder setzte er sich an die Arbeit. Sobald ein Schatten durch das Fenster fiel, schaute er auf. Wer ging vorüber? Bekannte gingen vorbei, Fremde gingen vorbei, aber niemand fiel ihm besonders auf. Doch plötzlich hörte Martin laute Stimmen auf der Strasse. Eine Marktfrau beschimpfte einen Jungen, der ihr soeben einen Apfel gestohlen hatte. Die Alte zerrte den Jungen an den Haaren. Der Junge wehrte sich heftig. Da trat Martin dazwischen. »Lass ihn laufen, Grossmutter! Wenn man ihn wegen eines Apfels derart strafen wollte, was sollte man erst mit uns und unseren Sünden tun?« Der Junge und die Marktfrau schauten erst Martin, dann einander lange an. Leise bat der Junge um Verzeihung. Er nahm den Korb, und zusammen gingen sie die Strasse entlang.
    Martin machte sich nochmals an die Arbeit. Sie musste morgen früh abgeliefert werden. Bald wurde es dunkel. Der Laternenmann ging vorüber, um die Laternen auf der Strasse anzuzünden. Martin zündete seine Lampe an und nähte den Stiefel fertig. Danach legte er sein Werkzeug fort und fegte die Lederschnitzel zusammen.
    Er nahm die Lampe vom Nagel und stellte sie auf den Tisch. Er wollte nochmals den Text in der Bibel lesen, der ihn gestern abend derart beschäftigt hatte. Da war es auf einmal, als rühre sich jemand hinter ihm und schreite auf ihn zu. Er schaute sich um; hinten, in der dunklen Ecke, standen wirklich Leute, aber er konnte nicht erkennen, wer es war.
    Da flüsterte ihm eine Stimme ins Ohr: »Martin! Hast du mich nicht erkannt?«
    »Wen?« fragte Martin.
    »Mich«, sagte die Stimme. Und aus der dunklen Ecke trat Stefan und lächelte. »Auch das war ich«, sagte die Stimme wieder, und die Frau mit dem Kind trat hervor. Sie lächelte, das Kind lächelte. »Auch das war ich«, sagte die Stimme wieder, und die alte Marktfrau trat hervor und der Junge mit dem Apfel. Beide lächelten. Staunend schaute Martin sie alle an. Und vor seinen Augen zerrannen sie im Nebel und waren verschwunden.
    Da begriff der Schuster Martin, dass ihn sein Traum nicht betrogen hatte. Jesus war an diesem Tag wirklich zu ihm gekommen, und er, Martin, hatte ihn aufgenommen.
    In des Schusters Seele wurde es ganz licht. Er setzte die Brille auf und begann zu lesen, gerade an der Stelle, die er zufällig aufgeschlagen hatte.


    Und da stand ganz oben auf der Seite geschrieben:
    »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.«


    Ein Herzliches Dankeschön an alle Admins und Mods für ihre gute aber auch viele Arbeit.


    Allen hier im Forum


    Ein besinnliches und gesegnetes Weihnachtsfest euch allen

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