Putzerfisch dreht am Rad

  • Hallo zusammen



    mein Name ist Udo und betreibe die Meerwasseraquaristik seit einigen Jahren.
    Das stille Mitlesen hat mir in den Jahren schon oft über Problemen hinweg geholfen!


    Doch jetzt hat sich eine Situation eingestellt wobei ich euren Rat brauche.


    Ein befreundeter Meerwasseraquarianer ist vor kurzem verstorben und hat ein 420L Becken hinterlassen.
    der von Ihm gehaltene Putzerfisch hat penetrant die wenigen anderen Fische und vor allem einen recht kleinen Doktorfisch so sehr
    bedrängt, dass die Fische sich schon sehr zurückgezogen haben.


    Meine Idee war es nun den Putzer aus dem Becken zu fangen und in mein größeres mit immerhin ca. 1000L zu überführen wo er dann seinen Putzdrang
    an vier älteren Doktoren befriedigen könnte.


    Gesagt getan.


    Der erste Tag nach der Eingewöhnung war ein vorsichtiges auskundschaften der neuen Umgebung und bekanntmachen mit den anderen Insassen.
    Bereitwillig stellten sich meine Dok`s zur Seite und wollten geputzt werden.
    Anscheinend war der Putzerfisch mit dieser Situation überfordert und reagierte nicht auf die Signale der Dok´s.
    Ich konnte beobachten wie der Putzerfisch bei Annäherung eines Doktorfisches seine Rückenflossen aufstellte und das Maul weit aufriss, was ich als Abwehrgebaren interpretiere.
    Nur gelegentlich kommt es zu "unaufgeforderten", spontanen Putzattacken die von den überraschten Dok´s mit aggressivem Abwehren quittiert wird.


    Nach einigen Tagen wurde das Bewegungsverhalten des Putzers immer hektischer, schwimmt an der Oberfläche hin und her und dreht ohne unterlass Kreise an der Scheibe.
    Der Putzerfisch ist jetzt ca. eine Woche bei mir im Becken und wird mittlerweile von den Dok´s weitgehend ignoriert .


    In seinem alten Becken hat sich die Situation zu einhundert Prozent verbessert. Die Fische fühlen sich anscheinend wohl und zeigen ein "normales" Verhalten.
    Die Option des zurücksetzens scheidet somit aus.


    Was tun???

  • Eine Bewertung der Situation ist aus der Ferne nicht immer optimal.
    Es gibt mehrere Möglichkeiten die infrage kommen.
    A.
    Ist es überhaupt ein Labroides oder ist es etwa sein Nachahmer Aspidontus taeniatus?
    Google mal im Netz und vergleiche die beiden Arten.
    Das würde seine Attacken erklären, wenngleich ich das nicht glauben kann.
    Aber möglich wäre es schon.
    B.
    Putzerlippfische leben nicht allein, sondern leben in Haremsstrukturen.
    Diese sozialen Bindungen sind extrem wichtig für den Erhalt dieser Arten.
    Ein Fisch, der nicht in seinem natürlichen, sozialen Umfeld aufwachsen kann, ändert mit der Zeit sein Verhalten.
    Er wird verhaltensgestört.
    In diesem Fall kann das zutreffen.
    Der Putzer ist in seiner natürlichen Umgebung hauptsächlich von den Parasiten der Fische abhängig.
    Er hat den angeborenen Drang zur Reinigung. Das prägt auch sein Verhalten.
    Wenn aus nachvollziehbaren Gründen
    a) keine Parasiten zu finden sind, also die Hauptbeschäftigung wegfällt
    und
    b) die soziale Bindung von Haremsstrukturen nicht vorhanden sind,
    wird aus der aufkommenden Langeweile ein anormales Verhalten.


    Aus diesem Grund wird immer eine Paarhaltung empfohlen.


    Gruß
    Hajo

    Trenne dich nicht von deinen Illusionen!
    Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren,
    aber aufhören zu leben.
    (Mark Twain)


    Wenn ich die See seh, brauch ich kein Meer mehr!

  • Hallo Hajo,


    vielen Dank für deine Stellungnahme.


    zu A: ich habe im Meerwasserlexikon nachgeschaut , mir die Bilder angesehen, verglichen, ... die sind ja echt schwer auseinander zu halten!


    ich glaube es ist der Labroides. Ist es die Schnauze woran man den Unterschied erkennt? Die ist beim Aspidontus taeniatus glaube ich etwas schräger nach hinten oder?


    zu B: würde ich auch zu tendieren. War ja über Jahre in einem relativ kleinen Becken mit wenigen zu putzenden Fischen.
    Die neue Situation mit Überangebot war wohl zu viel für ihn.


    Die Frage ist aber jetzt, wie reagiert man darauf. Könnte man es wagen einen zweiten deutlich kleineren Putzer dazu zu setzen?
    Ist er jetzt noch in der Lage einen Partner zu akzeptieren?
    Wären zwei Putzerfische für mein Becken tragbar?
    Beckengröße 180/150x90x65h
    Besatz:


    Ctenochaetus tominiensis 2x
    Zebrasoma flavescens 2x



    Chelmon rostratus
    Synchiropus splendidus
    Pseudocheilinus hexataenia
    Amphiprion ocellaris 2x



    viele Grüße,
    Udo

  • Hallo Udo!




    Gut erkannt! :smiling_face:
    Es ist das unterständige Maul!



    Obwohl normalerweise eine Paarhaltung anzustreben wäre, ist hier das Platz- und Fischangebot auf Dauer dafür unzureichend.
    Das Putzareal in der Natur ist nicht mit dem einer Aquarienpfütze zu vergleichen. Das Kundenangebot ist logischerweise dort mehr als deutlich höher!
    So etwas funktioniert nur in grossen Aquarien mit zahlreichen, grösseren Putzkunden.
    Kleine Fische sind nicht das eigentliche Ziel der Labroiden.
    Dafür sind in Mutter Natur andere Arten zuständig, wie Garnelen und spezielle Grundeln.
    Vielleicht auch noch heranwachsende Putzerlippfische, aber niemals adulte Arten.
    Für mittelgroße Becken würde ich als Alternative auf Putzergarnelen oder Putzgrundeln zurückgreifen.
    In deinem Fall wäre es von Vorteil den Dimidiatus gegen einige Lysmata auszutauschen.
    Nicht nur um des Friedens Willen.
    Gruss
    Hajo

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    aber aufhören zu leben.
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  • Hallo Udo,


    dass wir uns jetzt richtig verstehen - der Fisch hat kein unterständiges Maul. Das waere der optisch einzige Beweis fuer einen Aspidontus.
    Ich sehe dieses deutliche Merkmal nicht.
    Somit ist es ein Dimidiatus.
    Aus Gründen des abnormalen Verhaltens ist es besser, sich von dem Putzer zu trennen.
    Auf Dauer nur verschreckte Fische im Becken zu haben, ist auch keine Loesung.
    Gruss
    Hajo

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  • Hallo Udo,


    ich drück dir die Daumen.
    Ansonsten viel Spass beim Herausfangen! :grinning_face_with_smiling_eyes:


    Gruß
    Hajo

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  • Hallo,


    nochmal etwas zur Paarhaltung: ich hatte in einem 800 Liter Becken einen einzelnen Putzer, der nach recht kurzer Zeit alle Anzeichen von Langeweile aufwies: ständiges auf und ab an der Scheibe, er drehte rasend schnell Kreise um die Strömungspumpen etc.


    Nachdem mir von einer Paarhaltung abgeraten wurde, habe ich es trotzdem mit einem deutlich kleineren probiert. Wenn ich richtig informiert bin, kommen Lippfische als Weibchen zur Welt. Die Putzer Weibchen haben dann einen gelben Schimmer auf der Oberseite des Kopfes, wonach ich dann den neuen Fisch ausgesucht habe.


    Nach dem Einsetzen gab es einen Tag lang Zoff, der neu eingesetzte allerdings zeigte eine Art Unterwerfungsgeste - er legte sich auf die Seite nahe des Bodens worauf der alte seine Attacken abbrach. Nach 2-3 Tagen war dann völlige Ruhe und beide Fische schwammen miteinander durchs Becken.


    Bei keiner anderen Art habe ich ein derart spannendes Sozialverhalten und eine derartige Interaktion miteinander erlebt, wie bei den Putzerlippfischen. Beide beschäftigen sich extrem mit sich selbst und ließen die anderen Fische größtenteils in Ruhe. Zum putzen kamen sie nur noch, wenn einer der großen Fische die entsprechende Geste machte. Beeindruckend war die Geschwindigkeit, mit der die beiden durch das Riff gejagt sind.


    Ich würde, wenn ich nochmal Putzerlippfische halten sollte, definitiv zwei halten - da mag jetzt etwas off Topic sein, aber ein Plädoyer für die Paarhaltung von Putzerlippfischen :smiling_face:


    Gruß


    Markus



    Gesendet von iPhone mit Tapatalk

  • Ich würde, wenn ich nochmal Putzerlippfische halten sollte, definitiv zwei halten - da mag jetzt etwas off Topic sein, aber ein Plädoyer für die Paarhaltung von Putzerlippfischen :smiling_face:

    Nein, das ist keineswegs off topic, das ist noch relevant!
    s. #2, letzte Bemerkung.


    Gruss
    Hajo

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  • Hallo zusammen!


    Protogyner Hermaphrodismus ist bei Lippfischen wohl bekannt. Auch der Dimidiatus unterliegt diesem Prozess.
    Weniger bekannt zu sein scheint , dass sich in Notsituationen (keine weiblichen Partner mehr vorhanden) - Feldstudien zeigen das - die übriggeblieben
    Männchen miteinander verpaaren können. Das kleinere, männliche Tier wird dann in der Regel zum Weibchen.
    So sind die Nachkommen dieser Art gesichert, was fuer den Erhalt der Putzerstation, des ganzen Riffabschnittes bezw. der übrigen Fischpopulation
    einen signifikanten Vorteil bringt!
    Denn dort, wo putzende Fische nicht mehr vorhanden sind, wandern ihre Kunden ab. Das hat negative Folgen fuer das ganze Riff.
    Allerdings sind mir gut dokumentierte Beobachtungen von rückwärtigen Geschlechtsumwandlungen bei L. dimidiatus unter reinen Aquarienbedingungen nicht bekannt.
    Aber was nicht ist, kann ja noch kommen... :smiling_face:
    Gruss
    Hajo

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    aber aufhören zu leben.
    (Mark Twain)


    Wenn ich die See seh, brauch ich kein Meer mehr!

  • Ich kann die Beobachtung von Markus so bestätigen. Ich habe in meinem Becken einen Putzerlippfisch aus einer Beckenauflösung - der ist ausgewachsen und hat sicher schon einige Jahre am Buckel. Das Becken aus dem er kam war definitiv zu klein (250 Liter), es gab keine größeren Fische.


    Er hat sich von Anfang an in die Fischgemeinschaft integriert und war auch als Single nie lästig beim Putzen.


    Vor ca. 2 Monaten habe ich es gewagt und einen sehr kleinen (2,5 cm) nachgesetzt. Mein Händler konnte mich auch noch bei der Geschlechterunterscheidung unterstützen.


    Das erste Treffen war spannend zu beobachten. Es gab absolut keine Probleme zwischen den beiden. Der Große hatte tatsächlich eine riesen Freude, hat den kleinen umschwommen und sich an ihn geschmiegt. Seither sind die beiden gemeinsam im Miniriff unterwegs und suchen aktiv die Nähe zueinander.


    Sie balzen auch regelmäßig - dabei verfärben sich beide im Rumpfbereich ins stark gelbliche und umkreisen sich über längere Zeit. Der Farbwechsel ist extrem in diesem Moment.


    Was das Putzverhalten betrifft:
    beide bieten ihre Dienste an - das wird auch immer wieder gerne angenommen. Allerdings sind sie nicht lästig und lassen nach einer eindeutigen Pose auch davon ab wenn notwendig.
    Spannend ist, dass der kleine Putzerfisch auch die kleinen Fische putzen darf (Kauderni, Zwergkaiser). Diese haben sich vom Großen nie putzen lassen. Wie lange das noch geht ist allerdings fraglich, da der kleine mittlerweile auch stark gewachsen ist.


    Von daher bin ich aufgrund der oben beschriebenen Erfahrungen der Meinung, dass eine Paarhaltung von diesen wunderbaren Fischen erstrebenswert ist - sofern das Becken und der Fischbesatz das möglich machen.


    lg

  • Hallo
    Ich würde auch zum Nachsetzen raten, soo klein ist das Becken ja nicht, und meine beiden Putzer sind auch sehr viel miteinander beschäftigt. Ein Partner könnte also auch zu einer Entspannung im Becken führen.
    Grüße
    Jens

    Von all den Dingen, die ich in meinem Leben bisher verloren habe vermisse ich meinen Verstand am meisten (Ozzy Osbourne)

  • Hallo zusammen,


    ich bestätige nochmal meine Vorredner: Ich habe ebenfalls ein Pärchen, sogar nur in einem 300L Becken nebst einigen anderen Fischen. Es sind eigentlich meine Lieblingsfische. Nichts schöneres als die Beiden morgens beim Aufstehen zusammen durch das Becken tanzen zu sehen. Ich halte es ebenfalls für sehr plausibel, dass die Paarhaltung der Schlüssel dazu ist, Langeweile zu vermeiden. Die beiden sind quasi unzertennlich und manchmal jagen sie sich gegenseitig tatsächlich nur zum Spaß durchs Riff hinterher. Ich konnte noch kein Störverhalten wie Scheibenschwimmen, Zupfen an Tridacnas etc. beobachten. Die einzige Aggression gegen andere Beckenbewohner konnte ich bei ähnlich gestalteten (langen, dünnen) Schleimfischen beobachten, zuletzt beim Zitronenschleimfisch, das hat sich aber schnell wieder gelegt. Ich würde mit dem Wissen heute niemals auf die Idee kommen einen Putzer einzeln halten zu wollen, das entspricht einfach nicht ihrem Naturell...


    LG Robin

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